zum Download
zum Inhaltsverzeichnis
vorheriges KapitelDas Musikbusinessnächstes Kapitel

Schutz von Musik – Wer hats geschrieben?

Wir haben es ja schon gehört: Die Musikindustrie siehts nicht gern, wenn Songs ungekauft heruntergeladen werden, was sie selbst als «rauben» bezeichnet. Diesbezüglich sollte aber auch mal vor der eigenen Türe gewischt werden. Man muss nicht einmal genau hinschauen, um zu merken, dass das «Klauen» auch auf der Musiker- und Produzentenseite weit verbreitet, ja oft sogar fester Bestandteil ist.

Es lässt sich insgesamt feststellen, dass gerade bei den Major-Labels echte Kreativität nur einen kleinen Teil ausmacht. Alles andere wird kopiert, inspiriert durch, gesampelt, nachgespielt, geklaut, gecovert, unter anderem Namen herausgegeben, neu interpretiert, abgeschrieben etc. Die Acts, die tatsächlich von Grund auf neue Songs kreieren, sind in der Minderheit, vor allem im Popbereich.

Dies ist aber auch nichts grundsätzlich Schlechtes: wenn nicht dann und wann auch mal wieder ein älterer Song neu aufgemischt würde, gerieten diese bedauerlicherweise in völlige Vergessenheit. Und manch grossartiger Song aus der heutigen Zeit würde kein grosses Publikum erreichen, wenn er nicht von einem grossen und bekannten Act interpretiert würde. Ausserdem hat schon oft eine Coverversion das Original überhaupt erst hörbar gemacht. Und aus Samples entsteht häufig auch wieder etwas ganz Neues mit innovativem, frischen Klang.

Die Plagiatsvorwürfe

Das Problem fängt bei der gebührenden Anerkennung an und hört bei sehr viel Geld auf: nicht immer, um fast zu sagen auffallend häufig sind die Urheber- und Verwendungsrechte nicht ausreichend abgeklärt vor Neuveröffentlichungen oder werden absichtlich ignoriert.

Die Geschichte liefert unzählige Beispiele, wo der ursprüngliche Schreiber des Stücks schlechter wegkommt, als er eigentlich verdient hätte. Und darüber entsteht jeweils auch die Diskussion, die sich halt einfach nicht mathematisch lösen lässt: wieviel Verdienst hat ein Urheber zugute, wenn nicht eindeutig ist, wieviel genau von seinem Song kopiert wurde? Und was ist, wenn Aussage gegen Aussage steht, schliesslich kann ja kein Mensch alle existierenden Song der Welt kennen? Und wieviel Verdienst hat ein Songschreiber eigentlich am Erfolg eines Stücks, das er zwar geschrieben, aber selbst nie zum Erfolg gebracht hatte? Denn für den Erfolg brauchts ja nicht nur den Song, sondern auch den Interpreten, den Produzenten, die Promotion etc. Spätestens bei diesen Punkten beginnt das Urheber- und Tantiemensystem mit der starren Aufteilung in Komponist und Texter massive zu wanken. Und endet, sofern man sich nicht aussergerichtlich einigen kann, oft in jahrelangen Streitereien, horrenden Entschädigungsforderungen und teilweise absurden «Lösungen».

Die sogenannten Plagiatsvorwürfe, also der Vorwurf an jemanden, kreatives Eigentum gestohlen, missbraucht oder unter fremdem Namen veröffentlicht zu haben, sind übrigens sogar noch älter als die Musikindustrie. Das gab es bereits schon in der Zeit der klassischen Musik. Und vielleicht sogar noch früher; sobald halt Geld und Ruhm mit Kreativität kombiniert werden.

Major oder nicht Major?

Die Situation an sich ist also nichts Neues. Neu ist hingegen das Kräfteverhältnis: mit den Major-Labels und ihren firmenmässig organisierten Band-Unternehmungen sind auch ihre Rechtsabteilungen immer grösser geworden. Möchte ein weniger stark vertretener Künstler also seine Rechte geltend machen an einem Song, der von der Industrie «inspirierterweise» gross herausgebracht wurde, sieht er sich mit einem gewaltigen rechtlichen Aufwand konfrontiert. Selbst wenn er Recht erhält, hat die Industrie während dieser Zeit mit dem Song bereits genug Geld verdient, dass die Entschädigungszahlungen auch nicht ins Gewicht fallen.

Wichtiger Punkt: dank des grossen Einflusses auf die Medien und die Kontrolle über die PR-Berichte müssen die Majors hierbei auch keinen nennenswerten Imageverlust befürchten. Die Berichterstattung über einige bekannte dieser Fälle findet denn auch selten in den offiziellen Medien, dafür umso stärker in Internetforen und Communities statt, wo sie allerdings auch schnell den Charakter von Gerüchten und Verschwörungstheorien erhalten. Tatsache ist jedenfalls, dass in Radios und Printmedien nur in einer kleinen Anzahl der Fälle erwähnt wird, wenn es sich bei einen neuen Song um eine Coverversion handelt. Meistens werden die Song als neu und kreativ angepriesen, zu Gunsten des aktuellen Interpreten natürlich.

Dies stellt einen wirklich kreativen Künstler vor die schwierige Wahl, ob er beim gros­sen Zirkus mittanzen und aber dabei einen Teil seiner Unabhängigkeit und dadurch auch seiner Kreativität abgeben soll, oder ob er bei einem kleinen Label bleiben soll und damit aber das Risiko eingeht, dass für das eigene Resultat von Blut, Schweiss und Tränen eines Tages jemand anderes den Ruhm und das Geld einstreicht.

Unrühmliche Geschichte

Viele Künstler haben oder hatten diese Wahl auch gar nie. Jedoch sind oft genau dank ihnen Andere sehr gross herausgekommen, haben sich neue Musikstile entwickelt, erreichten Songs weltweiten Kultstatus, und konnten die Labels schöne Gewinne verbuchen. Zu erwähnen gäbe es deren viele, doch eine Bevölkerungsgruppe verdeutlicht diesen Missstand am stärksten: die Afro-Amerikaner in den USA. Aufgrund des bis heute ausgeprägten rassistischen Denkmusters der US-amerikanischen Bevölkerung war es Negern lange verwehrt, gut verdienend oder überhaupt Fuss zu fassen im grossen Musikbusiness.

Ein grosser Teil der Harmonien und Rhythmen der heutigen Pop- und Rockmusik ist aber zurückzuführen auf den Blues und die Gesänge der amerikanischen Sklaven. Die meiste kreative Pionierarbeit im Bereich Blues, Jazz, Rock’n’Roll, Funk etc. wurden von Schwarzen erbracht. Jedoch konnten lange Zeit keine Neger in den vorderen Rängen der Hitparade landen, dafür wurden die Songs jeweils von weissen Interpreten gross herausgebracht. Dass hierbei der Original-Urheber nicht erwähnt wurde, versteht sich von selbst. Und man darf zu Recht die Frage stellen, ob denn da die Tantiemenauszahlung immer ganz gerecht verlief.

Dieses Verhältnis hat sich inzwischen gewandelt: spätestens ab den achtziger Jahren gab es dann auch gutverdienende schwarzhäutige Popsternchen. Und ab den Neunzigern hat das Verhältnis bisweilen sogar kehrt gemacht, vor allem in einem Bereich: Als weisser Gangsta konnte bisher nur ein einziger den grossen Durchbruch schaffen. Und wurde entsprechend frenetisch gefeiert. Dabei macht er auch nur, was seine schwarzen Kollegen tun, und schon viele Generationen Schwarzer und Weisser zuvor: klauen, klauen, klauen, und ein wenig würzen mit einer persönlichen Note.

Eine aufschlussreiche Homepage zu dem Thema ist übrigens www.whosampled.com. Da ist zu jedem Song verzeichnet, aus welchem anderen Song welches Sample oder welcher Part verwendet wurde. Die Liste ist naturgegebenerweise im Bereich Hip-Hop sehr umfangreich, aber auch die anderen Sparten sind durchaus nicht leer. Detaillierte Hintergrundinformationen und Hörbeispiele von Hits und weniger Hittigem gibts zudem auf www.hitparade.ch.
Ein Durchstöbern ist empfehlenswert und wirklich total spannend; auch da sich diese Verknüpfungen lesen respektive anhören wie ein Geschichtsbuch des Pop.

Die am lautesten rufen

Bei dem ganzen heutigen Hickhack der Musikindustrie gegen die bösen «Raubkopierer» sollte man vielleicht dann und wann einmal der hintergangenen Seelen gedenken, die Musik erst so vielfältig gemacht haben, wie sie heute ist. Und sich klar werden, mit welchen Mitteln die Majors mitunter ihre heutige Grösse überhaupt erst erreicht haben. Shame.

Ein Beispiel aus der Schweiz: In jüngster Zeit machte sich Kuno Lauener am Radio stark gegen die Gratis-Downloader. Es sei nicht gerecht, sie arbeiteten hart, eineinhalb Jahre an so einem Album, dass dann einfach so heruntergeladen werde, sie als Musiker bräuchten dieses Geld, blabla. Moment mal. Kuno Lauener? Ist das nicht der Sprecher dieser Coverband aus Bern? Coverband? Ja, ist so, auch wenn das fast niemand weiss, weil es eben auch nicht gross kommuniziert wird: Züri West hat den Grossteil ihrer Hits nicht komplett selbst geschrieben; die meisten davon sind mehr oder minder Coverversionen. Kuno macht dann jeweils noch einen schweizerdeutschen Text darüber. Und ausgerechnet diese Band beklagt sich über Downloader? Shame. Wer sich bei anderen bedient, sollte auch selbst dazu stehen können. Nochmals zur Erinnerung, auch an die lieben Züri West: privates Herunterladen ist in der Schweiz absolut legal. Und aufgrund der fragwürdigen Datenträgerpauschale bis zu einem gewissen Grad auch bereits bezahlt und daher gerechtfertigt.

Was bedeutet das nun für die Band?

Für einen kreativen Musiker bedeutet dies in erster Linie: die warme Empfehlung, seine Werke vor Veröffentlichung ausreichend zu schützen. Zwar ist grundsätzlich jede Art von geistigem Eigentum geschützt. Aber der entscheidende Punkt bei rechtlichen Streitigkeiten ist, im Nachhinein belegen zu können, dass man die Idee schon vor den Nachahmern hatte. Dies lässt sich für Musiker ganz einfach und günstig bewerkstelligen: es kostet Fr. 6.– und besteht aus einer CD mit den aktuellen Demoaufnahmen, oder niedergeschriebenen Kompositionen und Songtexten, alles zusammen in einem Couvert verschlossen und eingeschrieben an einen selbst adressiert zur Post gebracht. Siehe da, am nächsten Tag klingelt es zweimal an der Tür, unterschreiben, fertig.

Man darf jetzt nur das Couvert auf keinen Fall öffnen! Sondern verschlossen und sicher aufbewahren. Im Falle eines Falles kann dann eines Tages der Umschlag unter notarieller Aufsicht geöffnet und so die Idee auf den damaligen Zeitpunkt bewiesen werden.

vorheriges KapitelDas Musikbusinessnächstes Kapitel

veröffentlicht am 26. Juli 2013

Creative Commons Lizenzvertrag
"Das Musikbusiness" von www.murphyslaw.ch/musicbiz steht unter einer Creative Commons Namensnennung 3.0 Schweiz Lizenz.